Als ich mit vierzehn Jahren mit dem Krafttraining beginnen wollte, wusste meine Mutter nicht so recht, ob sie den Vertrag beim Fitnessstudio unterzeichnen sollte, denn sie hatte gehört, dass das Training mit Hanteln Kindern schaden und das Wachstum beeinflussen solle. Nun ist es zwar schon ein paar Jahre her, der Mythos jedoch bleibt bis heute bestehen und hat sich zu einem weit verbreiteten Glauben entwickelt. Doch was ist tatsächlich an dieser Aussage dran?
Logische Betrachtung
Rein logisch kommen mir die Aussagen einiger vermeintlicher Experten aus meiner Sicht als Coach nicht nachvollziehbar vor. Oft wird von Kinderärzten vom Krafttraining mit Gewichten abgeraten. Das Training mit dem eigenen Körpergewicht hingegen sei okay. Alternativ wird zu "sicheren" Sportarten wie Beispielsweise Fußball geraten. Es soll also okay sein wenn ein ein vierzehn jähriger Junge der 60 kg wiegt einen Liegestütz macht und dabei sein Körpergewicht bewältigen muss (meist sogar mit schlechter Ausführung, da das eigene Gewicht für die meisten anfangs zu schwer ist), wenn er jedoch Bankdrücken mit einer 20 kg schweren Hantel bei sauberer Technik ausführt schadet es seinen Gelenken und hindert ihn am Wachstum? Es gilt als ungefährlich, wenn zwei Kinder auf dem Feld um einen Ball kämpfen und voller Ehrgeiz mit akkumuliert ca. 20 km/h in einander rennen, eine kontrollierte Kniebeuge mit der leeren Hantelstange ist jedoch schlecht für die Knie und für den Rücken? Diese und viele weitere Aussagen passen für mich einfach vorne und hinten nicht zusammen, weshalb ich der Sache auf den Grund gegangen bin und geschaut habe, was echte Experten und und die aktuelle Wissenschaft über diese Thematik zu sagen haben.
Typische Mythen
Nachfolgend werden die beiden größten Mythen im Bereich Krafttraining für Kinder mithilfe des aktuellen Standes der Wissenschaft geprüft.
Mythos #1:
"Kinder können noch gar keine Kraft aufbauen, da ihnen das Testosteron fehlt. Dementsprechend ergibt Krafttraining für sie keinen Sinn!"
Natürlich ist es richtig, dass ein zehn jähriger Junge nicht den Testosteronspiegel eines Erwachsenen hat. Das heißt jedoch nicht, dass er keine Kraft aufbauen kann. Wenn dem so wäre könnten Frauen das ebenso wenig, denn auch sie besitzen einen verhältnismäßig niedrigen Testosteronspiegel. Für beide ist es jedoch möglich sich im Krafttraining zu steigern. Dies geschieht zwar primär auf Neuromuskulärer Ebene und weniger durch einen starken Zuwachs an Muskelmasse [3;4], bringt jedoch trotzdem unzählige gesundheitliche Vorteile mit sich, auf welche nachfolgend noch eingegangen wird. Hinsichtlich dessen, ergibt Krafttraining für Kinder sowohl aus sportlicher Sicht, als auch aus gesundheitlicher Sicht sehr wohl einen Sinn.
Mythos #2:
"Das Training mit Gewichten beschädigt bei Kindern die Wachstumsfugen und behindert somit das Wachstum!"
Tatsächlich gibt es für diese Aussage nicht einen wissenschaftlichen Beleg. Krafttraining hat keinen negativen Effekt auf das Wachstum oder auf die Gesundheit der Wachstumsfugen oder des Herz-Kreislauf-Systems eines Kindes [2;5]. Ganz im Gegenteil lassen sich viele positive Anpassungen des Körpers an das Training beobachten. Unter Anderem kann Krafttraining bei Kindern eine Verbesserung des Herz-Kreislauf-Systems erzielen, die Knochendichte erhöhen, die generelle Verletzungsanfälligkeit senken und die mentale Gesundheit positiv beeinflussen [6].
Ab wann darf man also trainieren?
Resultierend aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es also keine wirkliche Altersgrenze. Als Kriterium ob ein Kind alt genug für das Krafttraining ist empfiehlt Sportmediziner Prof. Dr. Stephan Geisler die mentale Reife [1], da es sehr wichtig ist, dass ein Kind Anweisungen eines Coaches umsetzen kann und konzentriert bei der Sache ist, um die Verletzungsgefahr zu minimieren.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich ganz klar sagen, dass Krafttraining für Kinder, im Gegensatz zum Glauben es sei schädlich, durchaus positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat und somit problemlos ausgeführt werden kann. Abschließend möchte ich jedoch noch eine Sache erwähnen, die der führende Experte auf dem Gebiet Avery D. Faigenbaum nicht ohne Grund immer wieder erwähnt [6]: Es ist extrem wichtig auf eine saubere Ausführung zu achten und einen angepassten, gut dosierten Trainingsplan zu verfolgen, vor Allem bei Kindern! Erwachsene sollten dies zwar auch beachten, doch besonders Kinder sollten diesbezüglich in guten Händen sein.
Ansonsten steht dem Training nichts mehr im Wege, also Sport frei!
Literaturverzeichnis
1. Geisler, S. (12. März 2020). Youtube. Von Fitnessprofessor - Top 10 Myths in Youth Strength Training: https://www.youtube.com/watch?v=pM7-8ZN9MHI abgerufen
2. Lloyd, R. S., Faigenbaum, A. D., Stone, M. H., & al., e. (2014). Position statement on youth resistance training: the 2014 International Consensus. British Journal of Sports Medicine 48 (7), S. 498–505.
3. Ozmun, J. C., Mikesky, A. E., & Surburg, P. R. (1994). Neuromuscular adaptations following prepubescent strength training. Medicine & Science in Sports & Exercise 26 (4), S. 510– 514.
4. Ramsay, J. A., Blimkie, C. J., Smith, K., Garner, S., MacDougall, J. D., & Sale, D. G. (1990). Strength training effects in prepubescent boys. Medicine & Science in Sports & Exercise 22 (5), S. 605–614.
5. Sigal, R. J., Alberga, A. S., Goldfield, G., & al., e. (2014). Effects of aerobic training, resistance Training, or both on percentage body fat and cardiometabolic risk markers in obese adolescents: the healthy eating aerobic and resistance training in youth randomized clinical trial. JAMA Pediatrics 168 (11), S. 1006–1014.
6. Stricker, P. R., Faigenbaum, A. D., & McCambridge, T. M. (Juni 2020). Resistance Training for Children. American Academy of Pediatrics 145 (6).
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